Berufsberatung aus der Vogelperspektive
Wir Berufsberatende werden von unseren alltäglichen Aufgaben in Anspruch genommen. Dabei verliert man bisweilen den Blick für das Große und Ganze. Warum ist dieser notwendig? Zum einen erfordert Berufsberatung spezifische und detaillierte Kenntnisse. Um sich nicht im Detail zu verlieren, gilt es, immer wieder nach dem Was, Warum und Wie zu fragen. Es geht um die Selbstreflexion des eigenen beraterischen Handelns. Zum anderen geht es darum, den Überblick nicht zu verlieren, quasi aus der Vogelperspektive auf die alltägliche Beratungspraxis zu schauen. Dieses Buch richtet sich aus Sicht einer Praktikerin an Praktiker und Praktikerinnen. Es zeigt nicht, wie Berufsberatung neu zu denken ist. Sondern es möchte Studierende der Beratungswissenschaften sowie Berufsberaterinnen und Berufsberater im öffentlichen wie privaten Sektor anregen, Berufsberatung selbst neu zu denken. Das kann heißen, sich neues Wissen anzueignen. Das kann auch heißen, die alltägliche Routine aufzubrechen, neue Fragen zu stellen und neue Perspektiven auf die eigene Praxis zu entwickeln. In diesem Sinne ist dieses Buch ein Lern- und Arbeitsbuch. Folgende Themen erwarten Sie in diesem Buch:
- Was ist der Auftrag der Berufsberatung? Der Auftrag der öffentlichen Berufsberatung wird durch den Arbeitgeber und das Gesetz definiert. Die jüngere Generation soll durch Beratung lernen, sich in die Gesellschaft zu integrieren. Hat Beratung daher auch einen Erziehungs- und Bildungsauftrag? Und welchen Auftrag hat sie durch die Ratsuchenden selbst, ihre Bedürfnisse und Ziele?
- Wie geht Berufsberatung mit den Bedürfnissen unterschiedlicher Zielgruppen um? Die Spannbreite der Ratsuchenden reicht vom Lernbehinderten über sogenannte Bildungsferne bis hin zu Abiturientinnen mit Bestnoten und Studierenden. Wie kann es gelingen, deren spezifischen Bedürfnissen gerecht zu werden?
- Welche inneren und äußeren Einflussfaktoren wirken auf die Ratsuchenden ein? Wie berücksichtigen wir z. B. Motivation, die Rolle der Eltern oder Widerstände in der Beratung?
- Wie verhält sich Beratung in Bezug auf ihre Aufgabenfelder? Dazu gehören die Integration in den Arbeitsmarkt, die Digitalisierung, aber auch der Trend zur Akademisierung. Bezieht Beratung sich nur auf das Vorgefundene?
- Was erreicht Beratung und welche Wirkung hat sie? Wie kann es Beratung gelingen, in der Schulsprechstunde sowie in Bezug auf die Berufswegeplanung und Berufsorientierung nachhaltig zu wirken?
- Wie gelingt uns als Beratenden die Reflexion der eigenen Berufsrolle? Wie ermöglicht ein kritisch-distanziertes Verhältnis zum eigenen Beratungshandeln ein ständiges Weiter- und Dazulernen? Und wie können wir den notwendigen inneren Abstand gewinnen, um Selbst-Achtsamkeit und Selbstfürsorge zu realisieren?
Folgende Grafik gibt einen Überblick über die sechs Themenfelder dieses Buches:
Berufsberatung als Kreislauf

Die Beschäftigung mit diesen Themenfeldern und Fragen soll im Ergebnis dazu führen, dass nicht nur Beratende eine erweiterte Sicht auf ihre alltägliche Praxis gewinnen.
Dies soll auch dazu führen, dass Ratsuchende von einer veränderten Beratung profitieren, indem sie selbst neue oder veränderte Perspektiven entwickeln. Die einzelnen Kapitel greifen die genannten Themen auf und sind so aufgebaut, dass sie jeweils einen theoretischen Einblick in die Problemstellung geben, Fallbeispiele mit Bezug auf die Theorie diskutieren, eine Checkliste mit Fragen zu dem jeweiligen Themenfeld entwerfen sowie abschließend eine Aufgabe zur Selbstreflexion formulieren.

Ein Schlusskapitel greift dennoch einen Aspekt von Beratungsmethoden auf – es widmet sich dem klugen Fragen. Öffnen wir nicht erst dadurch den Ratsuchenden neue Horizonte? Und bleiben wir selbst nicht stets Lernende, wenn wir nicht immer wieder nur Wissen aufnehmen? Sondern das Wissen und uns selbst hinterfragen? In diesem Sinne hoffe ich, dass dieses Buch Ihnen nicht nur Wissen vermittelt, sondern Anregungen zum Weiterfragen und Weiterdenken bietet.